Die Böttcherstraße verbindet heute als Kunst- und Einkaufsgasse den Marktplatz mit der Martinistraße und der Weser. Sie ist an beiden Zugängen mit einer Brücke überbaut. Während sich die Brücke zur Martinistraße mit einem Glasfenster eher nach innen wendet, ist die Seite zum Marktplatz mit einem vergoldeten Relief versehen (Abb. 1), das als Blickfang zum Markt nicht zu übersehen ist. Diese fast vier mal vier Meter große Fläche vergoldeter Bronze, vom Backstein des Paula-Becker-Modersohn-Hauses umrahmt, irritiert und macht neugierig: Sie zeigt eine überlebensgroße, schwebende Figur, die diagonal von rechts oben kommend das Quadrat durchschneidet und mit einem großen Schwert einen dreiköpfigen Drachen anzugreifen scheint. Beim ersten Eindruck könnte man meinen, es handle sich hier um den Kampf des Erzengels Michael mit dem Drachen – eine gängige Darstellung in der christlichen Ikonografie. Doch man sollte genauer hinsehen:
Dem Jüngling mit langem Haar fehlen die wichtigsten Attribute eines Engels, nämlich die Flügel. Was seinem Rücken anhaftet, ist ein flatternder Umhang. Noch eine Ungereimtheit: Mit seinem langen Schwert macht er keine Anstalten, den im unteren rechten Bereich befindlichen dreiköpfigen Drachen anzugreifen. Seine linke Hand zeigt eine den Drachen abweisende Haltung. Im linken, oberen Bereich des Reliefs erkennt man eine strahlende Sonne. Zwischen Drachen und Jüngling befindet sich unregelmäßig verteilt eine Anzahl kleiner Figuren, die zum Teil dem Jüngling zuzujubeln scheinen. Manche von ihnen erheben den linken, manche den rechten und einige auch beide Arme (Abb. 2).
Das Relief ist heute Teil des Paula-Becker-Modersohn-Hauses, wurde aber erst zehn Jahre nach dessen Fertigstellung im August 1936 von Bernhard Hoetger und Ludwig Roselius dort angebracht und ‚Lichtbringer‘ betitelt. Diese Benennung hatte besondere Gründe, die einen interessanten Einblick in die Kulturpolitik der NS-Zeit gewähren.
Ludwig Roselius
Der Bremer Kaffeekaufmann Ludwig Roselius war durch die Erfindung des koffeinfreien Kaffees und Gründung der Firma Kaffee HAG seit 1906 zu erheblichem Wohlstand gekommen und hatte die gesamte Böttcherstraße erworben. Er ließ die Handwerkergasse von 1923 bis 1931 komplett umgestalten oder neu erbauen, teils in traditionellen Formen durch die Architekten Runge & Scotland, teils betont modern durch den Bildhauer Bernhard Hoetger.
Von Anfang an als Touristenattraktion gedacht, wollte Ludwig Roselius mit der Neuerrichtung der Böttcherstraße den in- und ausländischen Besuchern programmatisch einen Weg der kulturellen Erneuerung Deutschlands aus dem Zusammenbruch nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg zeigen, indem er auf die kulturellen Wurzeln seiner Vorfahren – der Friesen und Germanen – verweist und sie künstlerisch mit der Moderne verbindet. Jedes der sieben Häuser hat einen Namen und eine besondere Bestimmung. Das Paula-Becker-Modersohn-Haus war eine Hommage an die Worpsweder Malerin Paula Modersohn-Becker und ist das weltweit erste museale Gebäude für eine Künstlerin.
Künstlerin und Heldenruhm
1926/27 errichtet, hatte die Fassade des Paula-Becker-Modersohn-Hauses zum Markt ursprünglich ein gänzlich anderes Aussehen. Walter Müller-Wulkow schreibt im Führer zur Böttcherstraße von 1930 zu dieser Fassade: „Blickt man vom Markt, über den ja der ganze Verkehr der Bremer Altstadt flutet, und wohin auch jeder Fremde zwangsläufig gelangt, am Schütting vorbei, so leuchtet nun in rotem Backstein und farbigen Fenstern, am Abend magisch erhellt, ein rätselhaftes, Neugierde weckendes Gebilde aus dem düsteren, nach Süden führenden Straßenspalt auf. Das Phantastische und Ungewisse lockt unwiderstehlich an. Besser als irgendein Firmenschild oder Wegweiser bildet die Überbrückung des Eingangs den Auftakt und das Tor zur neuen Böttcherstraße […]“
Doch stieß diese Fassade regional wie überregional meistens auf Unverständnis. Die Schmähungen reichten von „merkwürdiges Gebilde“ bis hin zu „blutrünstigen Syphilisgeschwüren“. Neben ästhetischen Vorbehalten rieb sich vor allem an der Widmungstafel politischer Widerstand. Dort war zu lesen:
„Dieses ist das Paula-Becker-Modersohn-Haus
Aus alter Häuser Fall
Und Umbau errichtet von
Bernhard Hoetgers Hand
Zum Zeichen edler Fraue zeugend Werk
Das siegend steht, wenn tapferer Männer
Heldenruhm verweht.“
Dies wurde als Herabsetzung der Kriegsteilnehmer und Hinterbliebenen der Gefallenen gesehen, da damit das Werk der Künstlerin über den ‚Heldenruhm‘ gestellt sei. In dieser Zeit wurde überall in Deutschland Kriegerdenkmäler zu Ehren der im Ersten Weltkrieg Gefallenen errichtet. Diesen Widerstand vereinnahmten die Nationalsozialisten in Bremen nach der Machtübernahme für sich, so dass sich Roselius schon im Juni 1933 genötigt sah, die Aussage der Tafel abzumildern. Er ließ das Wort „wenn“ gegen das Wort „bis“ austauschen und relativierte damit die Aussage. Mit dem Wiederaufbau wurde 1954 der ursprüngliche Zustand mit dem Wort „wenn“ wiederhergestellt, was man heute noch an der dünnen umlaufenden Linie erkennen kann.
„Ein Denkmal, wie es nicht sein soll“
Die NS-Machthaber fanden sich jedoch mit der Relativierung der Aussage nicht ab. In den Jahren 1935/36 begann, besonders seitens der SS-Wochenzeitung „Das Schwarze Korps“, eine immer stärker werdende Kampagne gegen Künstler und gegen Bauten in der Böttcherstraße. Besonders im Visier standen die Gemälde von Paula Modersohn-Becker sowie die von Bernhard Hoetger errichteten Gebäude: das Paula-Becker-Modersohn-Haus und das Haus Atlantis. Sie kulminierten in der Forderung nach dem Abriss von Teilen der Straße oder zumindest in der Schließung der Ausstellung, die dann im Oktober 1935 auch tatsächlich erfolgte. Das Thema wurde überregional diskutiert. Schließlich hieß es im SS-Presseorgan, dass die Böttcherstraße als ein „Denkmal wie es nicht sein soll“ erhalten bleiben könne, wenn große Tafeln am Eingang darauf hinweisen würden.
Roselius und Hoetger entschlossen sich Anfang 1936 unter dem öffentlichen Druck der Nationalsozialisten zu einem Umbau der Brückenfassade des Paula-Becker-Modersohn-Hauses. Anstelle dieser markanten Fassade wurde das Relief „Der Lichtbringer“ angebracht. Erste Überlegungen dazu erfolgten Anfang 1936: In einem Brief vom 10. Januar an Hoetger schreibt Roselius: „[...] Du schlägst dann als Lösung ein Relief vor ,Siegfried oder St. Georg mit dem Drachen kämpfend‘ oder etwas Ähnliches. Wenn wir an eine solche Sache herangehen, müßte es schon ein bedeutendes Werk werden, ein Werk, das eine Tragkraft besitzt wie der St. Georg von Bernd Notke. Ich habe ja schon zwei Reliefs von Dir, das eine im Club, das andere auf dem Hoetgerhof. Dieses Relief müsste aber doch doppelt so hoch werden, auch müsste es vergoldet sein, damit der Glanz eines solchen Stückes bis auf den Markt leuchtet.“ Erste konkrete Entwürfe gab es noch im Januar 1936, die detaillierte Planung des Reliefs erfolgte im April 1936. Die Anbringung des neuen Reliefs wurde vom damals einflussreichen Leiter der Nordischen Kunsthochschule Carl Horn begrüßt. Roselius führt sein Urteil in dem Genehmigungsantrag an das Baupolizeiamt an: „Die Anbringung eines Bronzereliefs [...] ist zurückzuführen auf die Anregung des Herrn Prof. Carl Horn. [...] Herr Horn war der Ansicht, dass das kleine farbige Fenster und die etwas bizarre Gestaltung des Mauerwerks über dem Eingang die Gesamtwirkung der Böttcherstraße beeinträchtigt. Seinem wohlerwogenen Rat zufolge habe ich mich dann zur Anbringung dieses Reliefs entschlossen und bitte hiermit um Genehmigung.“ Die Ausführung zog sich bis in den August hin. Es wurde in einer Berliner Gießerei hergestellt, deren Name bisher nicht ermittelt werden konnte. Ludwig Roselius selbst wollte den Guss in der Gießerei beschleunigen, wie er am 6. August 1936 aus Berlin an den Leiter Bauabteilung der Böttcherstraße, Karl von Weihe, schrieb. Das Relief wurde am 18. August 1936 der Öffentlichkeit übergeben.
Statt der vom ‚Schwarzen Korps‘ geforderten großen Tafeln ließen Roselius und Hoetger nur einen erklärenden Handzettel drucken, der den semireligiösen Charakter des Reliefs betont und als eine Metapher auf die neue Zeit und den ‚Führer‘ als ‚Lichtbringer’ gelesen werden kann. Die Erklärung bleibt für uns heute, was die Beschreibung der Figur angeht, merkwürdig undeutlich und wenig konkret. 1936 war aber klar, dass der Lichtbringer eine Huldigung an die NS-Herrschaft war, die versprach, Deutschland aus dem Dunkel der Weimarer Republik in eine lichte Zukunft zu führen.
Zehn Jahre nach Fertigstellung des Hauses und wohl bezugnehmend auf das Datum der Widmungstafel unterhalb des Lichtbringers, stellt Roselius mit dem geplanten Spruch das Paula-Becker-Modersohn-Haus und vielleicht die ganze Straße in Frage. Dies kann nur als Bemühen gegenüber den Machthabern gedeutet werden, die Straße vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu schützen.
Die „sogenannte Böttcherstraßen-Kultur“
Doch verfing dies bei der NS-Führung nicht, denn am 10. September 1936 nahm Hitler selbst auf dem Parteitag in Nürnberg in seiner Kulturrede Stellung zur „sogenannten Böttcher-Straßen-Kultur“: Er hielt eine längere Rede, in deren Verlauf er sich scharf und eindeutig lossagt „von jenen Elementen, die den Nationalsozialismus nur vom Hören und Sagen her kennen, und ihn daher nur zu leicht verwechseln mit undefinierbaren nordischen Phrasen und die nun in irgendeinem sagenhaften atlantischen Kulturkreis ihre Motivforschungen beginnen. Der Nationalsozialismus lehnt diese Art von Böttcher-Straßen-Kultur schärfstens ab. Wir sehen ein neues Geschlecht um uns wachsen. Licht, Luft und Sonne schenken uns ein neues Ideal. In seiner körperlichen Schönheit erleben wir die Wiedergeburt einer wahren neuen Kunst. Ihre Gesundheit garantiert uns die Übereinstimmung mit unserem sonstigen politischen Wollen und Handeln.“ Diese Äußerung sorgte natürlich bei Roselius und Hoetger für große Aufregung. Aber entgegen der vielfach geäußerten Ansicht, dass die Architektur Hoetgers gemeint war, zielte Hitlers Rede auf den semireligiösen Überbau der Böttcherstraßen-Idee.
Roselius und Hoetger waren nämlich von den Ideen des Laienforschers für Vor- und Frühgeschichte Herman Wirth überzeugt, der behauptete, unsere Kultur hätte nicht im Orient ihre Wurzeln, sondern im Okzident auf der sagenhaften Insel Atlantis, die er im Atlantik vermutete und von Germanen besiedelt wissen wollte. Sie münden in dem Versuch, die kulturelle Überlegenheit der ‚Nordischen Rasse‘ belegen zu wollen. Wirths Thesen waren in wissenschaftlichen Kreisen sehr umstritten. Roselius jedoch versuchte, in Forschungskongressen, die er 1933 und 1934 veranstaltete und ‚Nordisches Thing‘ nannte, diese rassistische Theorie international bekannt zu machen und so die völkische Bewegung auf internationaler Ebene voranzubringen. Solche Veranstaltungen lagen in Inhalt und Zielsetzung nicht auf der Linie von Hitlers Chef-Ideologen Alfred Rosenberg. Sie besetzten jedoch ein zentrales Thema der NS-Ideologie, ohne dass die Partei dazu aufgefordert oder daran mitgewirkt hätte. Das war es unter anderem, was Hitler meinte und was als Übergriff nicht geduldet wurde.
Die ‚Bremer Zeitung‘, das Blatt der NSDAP in der Hansestadt, nutzte Hitlers Rede aber, in der er von ‚nordischen Phrasen‘ spricht, um weiterhin gegen die Bauten der Böttcherstraße Stellung zu beziehen, indem sie flugs „Scharfe Ablehnung jeder Art von Böttcherstraßen-Kultur“ titelte und damit den Sinn der Rede verfälscht.
Roselius wandte sich in dieser Situation zunächst am 18. September mit einer langen Rechtfertigung an Bürgermeister Otto Heider. Auf das Relief bezogen schreibt er: „Die dort jetzt angebrachte große Bronze stellt den Sieg unseres Führers über die Mächte der Finsternis dar.“ Erst hier nach Hitlers Rede bezieht Roselius die Figur des Lichtbringers direkt auf den Führer ohne jedoch seinen Namen zu nennen. Schließlich wendet Roselius sich am 26. September 1936 in einem Brief direkt an Hitler, in dem er unter anderem auf die Veränderung der Eingangssituation mit dem Lichtbringer hinwies und auch versprach, „die Gestaltung der Böttcherstraße in Einklang mit der Partei zu bringen“. Hitler ließ durch seinen Adjutanten Wiedemann am 21. Oktober 1936 schriftlich mitteilen, dass die Straße nicht umgebaut werden solle, Ludwig Roselius aber möge sich selbst persönlich von der in der Böttcherstraße vertretenen Kunstrichtung distanzieren. Dies geschah u. a. durch das Einfügen eines roten kleinen Zettels in den offiziellen Touristenführer.
Die Leitung der Böttcherstraße macht auf Wunsch von Herrn Ludwig Roselius darauf aufmerksam, daß das Paula-Becker-Modersohn-Haus und der Lebensbaum vor dem Hause Atlantis keinesfalls der heutigen nationalsozialistischen Kunstanschauung entsprechen. Die Bauten sind entstanden 1926 und 1929. Damals lastete auf Deutschland schwer der Vertrag von Versailles. Der romantische Bau des Paula-Becker-Modersohn-Hauses sollte ebenso wie der zeitlose Bau des Atlantis-Hauses, der ohne Vorbild dasteht, dazu führen, deutsches und nordisches Denken anschaulich zu machen. Der Nationalsozialismus steht beiden Bauten ablehnend gegenüber, weil er in reiner, ruhiger Linienführung dem Volke Grundlage für eine erhabene und reine Kunstanschauung schaffen will. Die Kunst unserer Zeit soll der Schönheit dienen und jede Problematik aus dem Spiel lassen. Das gilt auch für den nordischen Backsteinbau. Dank unserem Führer sind wir heute wieder ein starkes Volk, das einheitlich seinen Willen kundgibt.
In seiner beinahe naiven Unterwürfigkeit wirkt dieser Text zwischen den Zeilen fast wie eine Provokation.
Rückblickend deutet Ludwig Roselius 1937 in einem Brief an den Direktor der Seehandel AG (Holding der HAG) Hitlers Rede: „Der Führer hat sich auf dem Parteitag 1936 nicht gegen die Bauten der Böttcherstraße ausgesprochen, sondern er hat das von mir behandelte Problem “Atlantis“ aufgegriffen, und nur gegen ‚Atlantis‘ richtet sich seine Bemerkung. Es ist dieses eine Sache, die auf dem Gebiet der nordischen Forschung liegt, für die Herr Rosenberg zuständig ist.“ Mit dieser Äußerung erkennt Roselius die ideologische Oberhoheit Rosenbergs an, um seine Böttcherstraße zu retten.
Bernhard Hoetger hoffte mit dem Relief seine eigene Rehabilitierung befördern zu können. Seine Kunst war bei den Machthabern durchgefallen, weil sie sich nicht an die simple Monumentalisierung des Schönheitsideals der klassischen Antike hielt, wie sie etwa von Breker und Thorak vorgegeben war. Politisch war Hoetger verdächtig, weil er nach Ende des Ersten Weltkrieges das Ehrenmal für Opfer der Räterepublik auf dem Waller Friedhof und die Figuren am Bremer Volkshaus im Auftrag der Bremer Gewerkschaften geschaffen hatte. 1934 trat Hoetger in Rom der NSDAP bei. Dass er der Partei höchst suspekt geblieben war, belegt die Begründung eines Parteigerichtsverfahrens von 25.04.1938, das seinen Ausschluss aus der Partei zur Folge hatte. Ihm wurde vorgeworfen, „kulturbolschewistischen Kreisen“ nahegestanden zu haben. Seinem Werk müsse man mit äußerster Vorsicht begegnen, da er heute versuche, seine Kunst als nordisch hinzustellen. In einem von ihm selbst beantragten Säuberungsverfahren wurde im Eröffnungsbeschluss vom 22.07.1936 u. a. festgestellt, dass er „Nationalsozialist aus Konjunkturgründen geworden sei“. Seine Enttäuschung über dieses Verfahren und die Nichtbeachtung des ‚Lichtbringers‘ kommt in einem Brief vom 15. September 1936 an den mit ihm befreundeten Architekten Herbert Helfrich zum Ausdruck: „Gibt es wohl einen höheren Ausdruck der Verehrung unserer vom Führer geschaffenen Zeit wie es sich in meinem neuen Relief ‚Der Lichtbringer’ offenbart?“ Hoetgers Reaktion auf die Rede des „Führers“ in der der Nationalsozialismus die ‚Böttcherstraßen-Kultur’ auf das Schärfste ablehnt, ist nachvollziehbar. Wenige Tage nach der Rede und etwa einen Monat nach Anbringung des Reliefs schreibt Hoetger an seinen Freund Helfrich: „[…] Der erste Auftrag, den mir L. R. [nach Fertigstellung der Böttcherstraße 1931, Anm. des Autors] gab, war das Relief ‚Der Lichtbringer’. Damit glaubte ich nun endlich der Welt beweisen zu können, wie sehr ich unseren Führer und seine Taten verehre. Alles habe ich in dieses Relief gelegt und war voller Hoffnung. Jetzt scheint alles aber aus zu sein. – Ich glaube, man deutet dieses Relief falsch. […] Ich glaube auch, dass ich machen könnte, was ich wollte, man würde nicht von der einmal gefassten Meinung gegen mich abgehen. [...] Warum darf ich nicht mit meiner wahren Begeisterung an dem großen Aufbau Deutschlands mitarbeiten und warum will man mich nicht verstehen? Ich weiß keinen Ausweg mehr, denn ich habe alles, was ich konnte, getan und meine letzten Arbeiten beweisen meine eindeutige, bewundernde Einstellung für das neue Reich. [...] Ich bin ganz fest durchdrungen, [...] dass meine Arbeiten jung stark und groß genug sein werden unser neues Reich zu verherrlichen.“
Thomas Hirthe erkennt, dass die glatte Oberfläche des Jünglings und seine entschlossenen Gesichtszüge [...] verwandt [sind] mit Werken ‚anerkannter’ Bildhauer, die auf der ‚Großen Deutschen Kunstausstellung’ 1937 ausgestellt waren. Mithin zeigt Hoetgers erstes großes öffentliches plastisches Werk, das er während des Nationalsozialismus schuf, unverkennbare, formale Übereinstimmungen mit dem offiziellen ‚Kunstempfinden’.“ Im dem Kopf des Jünglings ein Portrait des Führers sehen zu wollen geht jedoch fehl. Nach verbindlichen Aussagen der Witwe des Tischlers Fritz Schanze, der seit 1929 zu den Kunsthandwerkern in der Böttcherstraße gehörte, handle es sich bei der Figur des Lichtbringers um eine überaus portraitähnliche Darstellung ihres Mannes, der dem Bildhauer dafür Modell gestanden hatte.
Der Lichtbringer – Ein Blickfang mit Geschichte
Formal mag sich der Lichtbringer also der NS-Kunstauffassung besser anpassen als Hoetgers Skulptur des Lebensbaumes am 1931 entstanden Haus Atlantis, wo er auf seine expressionistisch – primitivistischen Werke zurückgreift. Inhaltlich knüpft das zunächst seltsam anmutende Motiv des Lichtbringers, des mit der Sonne kommenden Erlösers, aber an die von Wirth ersonnene Fassade des Haus Atlantis an. Dort sind vorgeschichtliche, religiöse Vorstellungen der Nordvölker vom zyklischen Werden und Vergehen, vom Heldischen und vom Erlösergedanken verbildlicht, Vorstellungen, die den Nationalsozialisten in dieser Ausformung aber fremd geblieben sind. Konzeptuell sind sich Roselius und Hoetger treu geblieben, äußerlich haben sie mit dem Relief des Lichtbingers versucht, sich den Nationalsozialisten anzupassen.
Zumindest Roselius hatte sein Ziel erreicht, denn noch 1937 wurde auf Veranlassung des obersten Baumeisters des Dritten Reiches, Albert Speer, das Ensemble Böttcherstraße vollständig unter Denkmalschutz gestellt. Daraufhin verflachten die Angriffe der Nationalsozialisten, aber die Organisation „Kraft durch Freude“ sollte bei ihren Besichtigungsprogrammen in Bremen die Böttcherstraße möglichst meiden und sich sonst an den von der NS-Kulturbehörde genehmigten „Führungstext“ halten. Es gab übrigens bei der Unterschutzstellung keinerlei Begründung, dass die Böttcherstraße als Beispiel „Entarteter Kunst“ anzusehen sei.
Die Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs überstand der Lichtbringer fast unversehrt. 1972 und 1993 wurde die Vergoldung des Reliefs erneuert.
Nachwirkungen
Wie ging man in der Nachkriegszeit mit dieser schwierigen Hinterlassenschaft um? Die Benennung und Erklärung des Lichtbringers in Publikationen der Nachkriegszeit war zunächst uneinheitlich: „Drachtöterrelief“ (Alfred Faust im Merian 6. Jg, Heft 12, 1953), „ein schwebender Recke, ein Lichtbringer, der mit dem Schwert dem Bösen in Gestalt eines feuerspeienden Drachen wehrt. Unter diesem apokalyptischen Anruf tritt der Besucher in die Böttcherstraße ein.“ (Hanns Meyer in: Das Bremer Gesicht – Ein Reisebegeleiter […], Bremen 1964“), „‚Lichtbringer‘ Böttcherstraße, S. 7, hrsg. Bremer Werkschau – Böttcherstraße GmbH 1966). Kein Text geht näher auf das denkwürdige Relief ein. Anfang der 70er Jahre gab die Böttcherstraße GmbH einen Informationstext heraus, an den sich die damals in der Böttcherstraße tätigen Fremdenführerinnen halten sollten. Auch dieser ausführlichere Text verschwieg jeden Bezug zur NS-Zeit, die aber zur Entstehung des Lichtbringer führte. Dieser wurde erstmals 1992 durch die Veröffentlichungen von Arn Strohmeyer mit seiner Monografie zum Haus Atlantis aufgezeigt und von Seiten der Böttcherstraße GmbH mit der Herausgabe der Publikation ‚Projekt Böttcherstraße‘ fortgeführt. Die öffentliche Diskussion über den Umgang mit Denkmälern der Kolonial- und der NS-Zeit hatte immer wieder auch den Lichtbringer zu Gegenstand. Daraus erwuchs die Forderung nach Anbringung einer großen erklärenden Tafel, der die Stadtgemeinde Bremen als neue Eigentümerin aber nicht nachgekommen ist. Stattdessen ist in Absprache mit dem Landesamt für Denkmalpflege unterhalb des Reliefs ein Plexiglasbehälter für Faltblätter mit einer gekürzten Version dieses Textes angebracht worden. Auch wenn diese Maßnahme als ‚verschämt‘ betitelt wurde, gibt der Erfolg mit über 60.000 mitgenommenen Exemplaren in den letzten vier Jahren Recht. Die Forderungen reichen aber bis hin zur Beseitigung des Lichtbringers. Dies kann man in der literarischen Installation ‚LauschOrte‘ direkt gegenüber des Lichtbringers per QR-Code herunterladen und anhören.
Das Denkmal des Lichtbringer ist ein spannendes Zeugnis der NS-Kulturpolitik. An der Böttcherstraße als Kulturprogramm kann man wie an keinem anderen Denkmal in Bremen den Wandel von einer anfänglichen Heimatverbundenheit hin zum Glauben an die völkische Überlegenheit, den Weg aus der Weimarer Republik hinein in den Nationalsozialismus studieren. Denkmäler sind Lernorte. An beseitigten Denkmälern kann man nichts mehr lernen.
Ausführliche Version mit Quellenangaben und weiteren Abbildungen zum Download
Text
Uwe Bölts