Nr. 7-9 HAG-Haus/ Haus der Sieben Faulen
Nr. 7-9 HAG-Haus/ Haus der Sieben Faulen
 
Die westliche, langgestreckte Häuserzeile prägt mit ihren traditionellen Formen und Materialien stark das Bild der Böttcherstraße. Der nördliche Teil ist von Ludwig Roselius ‚HAG-Haus‘ benannt worden (heute Haus der Sieben Faulen) und bot Räume für Ausstellungen und den Einzelhandel.
Auf einen Blick
benannt nach den Helden einer Bremischen Sage
Bauzeit: 1923 bis 1926, Dachgeschoss 1944 zerstört, bis 1954 wiederaufgebaut
Architekten: Alfred Runge und Eduard Scotland
Nutzung: Ladengeschäfte in Erdgeschoss, Veranstaltungs- und Museumsräume im Obergeschoss

Vorgeschichte

Nach dem Bezug des Hauses Nr. 6 (Roselius-Haus) und der Umgestaltung der beiden Giebelhäuser daneben zum Haus Nr. 4, der Bremen-Amerika-Bank (heute Haus des Glockenspiels), war es Roselius’ Plan, die westliche, vom Markt aus gesehen rechte Seite mit einem kompletten Neubau zu überziehen.Grundlegend zu den beiden Häusern: Kirsten Leuenroth: Das HAG-Haus und das Haus St. Petrus, in: Hans Tallasch (Hg.): Projekt Böttcherstraße, Delmenhorst 2002, S. 119-145 Die Böttcherstraße als Konzept der ‚Stadt in der Stadt‘ für Bremen Besucher nahm mit diesem Projekt Form an (Abb. 2). Roselius erkannte sofort, dass zu einer Touristenattraktion eine leistungsfähige Gastronomie gehörte. Das Haus sollte Platz bieten für Einzelhandelsgeschäfte, Gastronomie und Veranstaltungsräume.

Insgesamt neun Grundstücke – in Größe und Schnitt sehr unregelmäßig – erwarb Ludwig Roselius von der Stadt 1923 für sechzig Jahre auf Erbpacht. Hier hatten sich kleine, teils heruntergekommene Handwerkerhäuser befunden, teils waren die Grundstücke auch schon leer. Mit der Bauplanung wurde bereits 1922 begonnen, das Vollendungsjahr 1926 ist auf den Konsolsteinen (Abb. 3) des Dacherkers am Platz des Glockenspiels eingetragen.Die Genese der Planung war sehr viel komplizierter, als es hier dargestellt ist. Siehe hierzu Leuenroth a.a.O.

  • überziehen.Grundlegend zu den beiden Häusern: Kirsten Leuenroth: Das HAG-Haus und das Haus St. Petrus, in: Hans Tallasch (Hg.): Projekt Böttcherstraße, Delmenhorst 2002, S. 119-145
  • eingetragen.Die Genese der Planung war sehr viel komplizierter, als es hier dargestellt ist. Siehe hierzu Leuenroth a.a.O.
Abb. 5: Haus St. Petrus nSW 1936-44
Runge & Scotland verwendeten häufig den Treppengiebel, der an mittelalterliche hanseatische Kaufmannshäuser erinnert.
Quelle
Stickelmann (Foto)

Das Äußere

Bauherr Ludwig Roselius stellte Runge und Scotland mit dem Neubau vor eine schwierige Aufgabe. Sie mussten einerseits die gewünschten großen, repräsentativen Veranstaltungsräume so platzieren, dass die schmale Grundstücksgrenze nicht überschritten wurde und andererseits die historisch gewachsene Vielgestaltigkeit der kleinen Häuser wiederaufnehmen. Trotzdem musste der Bau in seiner Form als Einheit wahrgenommen werden können. Und es sollte – damit keine bloße Kopie des Alten entstand – auch eine zeitgemäße Formgebung spürbar sein.

Die Architekten haben diese Aufgaben genial gelöst. Sie haben den langgestreckten Bau sehr geschickt gegliedert: Die enge Straße wurde im vorderen Bereich mit einer Arkadenzone verbreitert, um Platz für die Fußgänger zu gewinnen. Blickt man vom Markt her in die Straße (Abb. 4), so sieht man im Bereich der Arkaden eine leichte Kurve. Dadurch wirkt die Straße optisch länger, als sie in Wirklichkeit ist. Zugleich verbindet die regelmäßige Folge der Arkaden den Bau zu einer Einheit, der im Obergeschoss zu einer vielgestaltigen Dachlandschaft aufgegliedert ist. Hierbei wurde häufig auf das Motiv des Treppengiebels (Abb. 5) zurückgegriffen, das an alte hanseatische Giebelfassaden aus Backstein erinnert. Auch mit der Verwendung von großen Backsteinen im Klosterformat, die im traditionellen Kreuzverband vermauert sind, knüpften Runge & Scotland an die Bautradition Norddeutschlands an.

Das HAG-Haus

Der nördliche Teil zum Markt hin mit Arkadenzone und großen Schaufenstern für den Einzelhandel wurde HAG-Haus benannt, nach dem Produkt, dem die Straße letztlich ihre Entstehung verdankt. Es erhielt die Hausnummern 7-9. Runge und Scotland schlossen das zweigeschossige Haus zur Straße Hinter dem Schütting mit einer Fassade (Abb. 6) ab, die durch ihre Flächigkeit und ihren großformatigen, nur dreistufigen Treppengiebel eine groß dimensionierte Wirkung in der engen Straße erzielt.

Gesteigert wird diese Monumentalität durch insgesamt sieben überlebensgroße, männliche Figuren, die mit Spaten bewaffnet oder die Arme in die Hüften gestemmt, zur Arbeit bereit scheinen (Abb. 7). Sie stellen die Sieben Faulen aus einer altbremischen Sage dar und wurden von dem aus Münster stammenden Bildhauer Aloys RöhrAloys Röhr (1887-1953), als Bildhauer hauptsächlich in Münster tätig geschaffen. Roselius bewunderte an ihnen Erfindungsreichtum und Pioniergeist und setzte ihnen deshalb ein Denkmal in der Böttcherstraße. Weiterer bildhauerischer Schmuck am HAG-Haus erscheint in den Fenster- und Türrahmungen (Abb. 8): Kleine, allegorische Figuren im zeittypischen, gratigen Liniendekor fertigte hier der Bremer Bildhauer Engelhard Tölken.Engelhard Tölken (1882-1928)

Inneres

Als Pionier auf dem Gebiet der Werbung stellte Ludwig Roselius auch die Böttcherstraße in den Dienst für sein Produkt, nicht nur mittelbar als Kunstmäzen, sondern ganz direkt. An prominentester Stelle des HAG-Hauses an der Ecke zum Markt hin ließ Roselius einen ‚Propagandaraum‘ durch Runge & Scotland erstellen (Abb. 9): In auffälligem Schwarz-weiß-Kontrast wurde den Besuchern hier die Herkunft und Produktion des koffeinfreien Kaffees demonstriert, im Mittelpunkt das Modell der innovativen HAG-Fabrik im Bremer Holzhafen. Dieses so prominent gelegene Ladenlokal diente der HAG noch bis 1979 zur Bewerbung ihrer Produkte (Abb. 10). Heute wird dort ein umfangreiches Sortiment an Andenken und Bremensien angeboten. Gleich daneben konnte man sich in der mit alten Delfter Fliesen ausgekleideten Kaffeeprobierstube vom Geschmack des koffeinfreien Kaffees überzeugen (Abb. 11). Dieser Laden konnte als einziger sein ursprüngliches Aussehen bis heute bewahren. Statt Kaffee wird hier jetzt Tee angeboten. Ein Durchgang führte zur Verkaufsstelle des Deutschen Werkbundes, den Roselius aktiv unterstützte. Anfang der 30er Jahre hatte hier die Auskunftsstelle für den Fremdenverkehr ihren Sitz, einem Vorläufer der heutigen Tourismuszentrale (Abb. 12). Das nächste Ladengeschäft hat der Bremer Dichter und Designer Rudolf Alexander Schröder für die renommierte Export-Buchhandlung G.A. von HalemRoselius war 1923 in die Firma eingestiegen und hatte sie 1927 schließlich ganz übernommen. eingerichtet (Abb. 13). Sie existierte auch nach dem Krieg als Buchhandlung bis 1996 weiter, teils in Verpachtung, teils als Abteilung der Böttcherstraße GmbH. Erst 2019 wurde der Firmenname endgültig gelöscht. Das langgestreckte Ladenlokal wurde aufgeteilt und wird weiter für den Einzelhandel genutzt.

Das schmale Grundstück des HAG-Hauses durfte im südlichen Teil nur eingeschossig errichtet werden. Das Obergeschoss bauten Runge & Scotland zu einem einzigen großen Saal aus, den Ludwig Roselius für seine Sammlung VäterkundeWeitere Informationen zu dieser Sammlung im Artikel Der gebaute Mythos von Bernd Küster nutzte (Abb. 14). Mit offenem Dachstuhl und niedrigem Wandsockel wirkte der Raum wie die Diele eines niedersächsischen Bauernhauses. Im Krieg zerstört, wurde er für den Saalbetrieb der Gastronomie vereinfacht wiederaufgebaut (Abb. 15) und mit dem Einzug der Bremer Spielbank in die gesamte obere Etage des HAG-Hauses und Haus St. Petrus 1981 nach deren Bedürfnissen weiter stark verändert. Seit 2010 ist er zurückgebaut an das benachbarte Hotel vermietet (Abb. 16).

Der Saal über dem Propaganda-Raum hat eine sehr wechselvolle Nutzungsgeschichte. Fläche und Raumhöhe ließen eine Nutzung als Ausstellungsraum zu. Er war aber 1926 zunächst als Verkaufsraum für niederdeutsches Kunsthandwerk vorgesehen. Mit der räumlichen Verbindung über eine Brücke konnte er ab 1927 an das Paula-Becker-Modersohn-Haus als Ausstellungsraum angeschlossen werden. Als einer der wenigen im Krieg nicht zerstörten Räume, diente er in der ersten Nachkriegszeit wieder als ‚Kunsthandwerk-Musterlager‘ den jetzt verstärkten Ambitionen der Böttcherstraße als Ort des Einzelhandels. Mit dem Abschluss des Wiederaufbaus des Paula-Becker-Modersohn-Hauses 1954 wurde er wieder zu einem Ausstellungsraum, bis 1979 als sogenannte ‚Permanente‘ für permanent wechselnde Verkaufsausstellungen aktueller Künstler. Von 1981 – 2010 als Nebenraum Teil Bremer Spielbank, wird dieser Raum seitdem wieder vom Museum genutzt. Neben die Bezeichnung HAG-Haus trat schon vor dem Krieg der Name ‚Haus der Sieben Faulen‘. Nach dem Verkauf der HAG 1979 war auch der Name HAG-Haus nicht mehr gebräuchlich.