Ernst Müller-Scheessel
Ludwig Roselius und Ernst Müller-Schessel als Sammler mit Fayence
Ernst Müller-Scheessel und die Volkskunst
 
Er war Gründungsmitglied des „Vereins für niedersächsisches Volkstum“ in Bremen und bereits 1907 dessen Ehrenmitglied, was auf das hohe Engagement, aber auch die Reputation dieses Künstlers im Umfeld der regionalen Heimatschutzbewegung hinweist.

Eine ländliche Reform des Kunsthandwerks, die Wahrung traditioneller Bau- und Dekorformen und die Ehrenrettung des ländlichen Handwerks in regionalen Kunsthandwerkbetrieben wurden nicht zuletzt über Ernst Müller (1863-1936), der seinen Heimatort als Namenszusatz annahm, zu den Leitzielen des Bremer Vereins. Bildende und angewandte Kunst waren die beiden Säulen seiner Ausbildung, und mit Bedacht vertrat er zeitlebens die Überzeugung, dass die angewandte Kunst den freien Künstler besser ernähren könne. In seinem eigenen Schaffen demonstrierte er immer wieder die hohe Qualität der Symbiose von Kunst und Handwerk, zunächst im Umfeld des Jugendstils, später im Rahmen einer an seinem Heimatort installierten Kunstgewerbe- und Möbelproduktion. Unter seiner künstlerischen Leitung fertigten selbständige Tischlereibetriebe als „Werkstätten für Handwerkskunst“ ländliche Wohneinrichtungen mit einem dem Jugendstil entlehnten Dekor und in einer der traditionellen Volkskunst verbundenen Form. Mit dieser Zusammenführung wurde Scheessels angewandte Kunst als reformierte Volkskunst bis zum Ersten Weltkrieg weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

1901 heiratete er die Bremerin Mily Roselius, eine Schwester des Kaffeekaufmanns, zu dem der Maler zeit seines Lebens in enger Beziehung stand. Durch Roselius wurde er in die kulturellen Belange der Hansestadt und ihre Geschichte eingebunden, und Roselius bezog bald den Schwager in die Pläne zur Neugestaltung der Böttcherstraße (Abb. 2) ein, wo der Maler bereits 1910 im Giebelgeschoss des Hauses Nr. 6, des späteren Roselius-Hauses ein Atelier bezog. Hier entstanden in den nachfolgenden 25 Jahren seines Schaffens die atmosphärischen Schilderungen der Hansestadt (Abb. 3) oder seines Heimatortes, aber auch Entwürfe zur Ausgestaltung der ersten Gebäude der neuen Böttcherstraße.

Ab 1906 bereits arbeitete Müller-Scheessel an der Inneneinrichtung des Roselius-Hauses, das sein Schwager zu einem Museum ausgestalten ließ. Im 1926 eingeweihten Haus St. Petrus bemalte er die Decke (Abb. 4) des Fletts im Stile einer altniedersächsischen Bauernhalle. Die Weinstube „St. Petrus“, der „Goldene Saal“ und ein Sitzungszimmer der Bremen-Amerika-Bank wurden von ihm gestaltet, ausgemalt oder eingerichtet. Verantwortlich war er auch für das 1928 im Roselius-Haus eingerichtete Museum für mittelalterliche Kunst und Kunsthandwerk.

Sein Beitrag zur Neubelebung der Böttcherstraße als einer Art kulturgeschichtlichen Gesamtkunstwerks des Sammlers und Mäzens Ludwig Roselius ist angesichts der architektonischen Leistungen oft übersehen worden; vielleicht auch, weil die Spuren seiner Arbeit durch die Zerstörungen während des Zweiten Weltkrieges fast vollständig ausgelöscht worden sind.

Müller-Scheessels vielfältige Arbeiten in der freien und der angewandter Kunst, seine Leistungen als Maler, Entwerfer oder Berater, als Organisator, Heimatschützer und Lehrer, sie alle lassen sich unter dem Begriff „Volkskunst“ zwanglos zusammenführen. Dieser Begriff verkörpert die Idee seines Lebens, alle Zweige seines Engagements lassen sich auf diese zentrale Idee seines Wirkens zurückbeziehen. Und in deren Mitte ruhte sein Heimatort, wo er kulturell belebend und für die regionale Kultur beispielgebend wirkte. Im Frühjahr 1913 zeigte er erstmals einen umfangreichen Querschnitt seines Schaffens in einer Ausstellung in der Bremer Böttcherstraße, zusammengestellt aus 52 Ölgemälden, 21 Aquarellen und auch aus Beispielen seiner Möbelgestaltung.

Neben vielem anderen war Ernst Müller-Scheessel Mitglied des „Plattdeutschen Vereins“ in Bremen und der „Niedersachsenrunde“ (Abb. 5) von 1900. Im Jahr 1918 wurde er einer der Mitbegründer des Bremer Künstlerbundes, 1919 hatte er gewichtigen Anteil an Gründung der Volkshochschule in Bremen. Hier unterrichtete er mehr als ein Jahrzehnt niederdeutsches Kunstgewerbe, gleichzeitig lehrte er Aquarellieren und Glasmalerei an der Kunstgewerbeschule. Zeitweise saß er im künstlerischen Beirat der Linoleumwerke in Delmenhorst und der Steingutfabrik Witteburg in Farge. Er war Mitglied des Werkbundes und stellte 1914 auf der epochalen Kölner Werkbund-Ausstellung aus. Regelmäßig richtete er im Haus hinterm Schütting die Kunstausstellungen der Böttcherstraße ein, in jenem Saal, den Hoetger später in den Bau des Paula Becker-Modersohn-Hauses integrierte.

Abb. 5
Die Niedersachsenrunde von 1900, ein Freundeskreis von Architekten und Journalisten, der sich um die Bewahrung des Niederdeutschen Brauchtums bemühte, tagt im Roselius-Haus. Ernst Müller-Scheessel in der unteren Reihe zweiter von rechts.

Zu seinem 60. Geburtstag wurde hier 1923 eine mit etwa 100 Arbeiten bestückte Sonderausstellung dieses „niederdeutschen Meisters“Weser-Zeitung, 24. April 1923 veranstaltet. Zehn Jahre später verlieh ihm der „Verein für niedersächsisches Volkstum“, die Goldene Plakette, 1934 ernannte der Bremer Senat den Maler zum ehrenamtlichen Mitarbeiter der aus der Kunstgewerbeschule hervorgegangenen „Nordischen Kunstschule“ in Bremen und verlieh ihm den Professorentitel. Hier lehrte Ernst Müller in den letzten Jahren seines Lebens über niederdeutsches Brauchtum und bäuerliches Handwerk. Noch am Tage vor seinem Tod referierte er über das niedersächsische Bauernhaus.

Auf dem Riensberger Friedhof in Bremen liegt er begraben, den Gedenkstein (Abb. 6) schuf sein Freund und langjähriger Kollege Eduard Scotland.

Abb. 6
Gedenkstein an Ernst Müller-Scheessel von Eduard Scotland auf dem Riensberger Friedhof in Bremen.
Quelle
Teumer (Foto)

Literatur

  • Bernd Küster, Ernst Müller-Scheessel, Lilienthal 1986. 
  • Ders.: Scheessel und sein Kunstgewerbehaus. In: Von der Volkskunst zur Moderne. Kunst und Handwerk im Elbe-Weser-Raum 1900-1930, Hrsg. Landschaftsverband Stade, Stade 1992, S.124 ff.

Text

Bernd Küster