45_1 Portrait B. Hoetger um 1914
45_3 Hoetger im Atelier Berlin-Frohnau 1938
Bernhard Hoetger und Ludwig Roselius
 
Dass der Bildhauer Bernhard Hoetger, den bis dahin mit Bremen nichts verband, der führende Architekt bei der Neugestaltung der Böttcherstraße wurde, verdankt sich nicht nur dem Zufall einer Begegnung am Ende des Ersten Weltkrieges.

Dass der Bildhauer Bernhard Hoetger (1874-1949), den bis dahin mit Bremen nichts verband, der führende Architekt bei der Neugestaltung der Böttcherstraße wurde, verdankt sich einerseits dem Zufall einer Begegnung am Ende des Ersten Weltkrieges, zum anderen persönlicher Disposition, die bei Architekt wie Auftraggeber eine auffällig ähnliche war. Dabei hatten sie weder von ihrer Herkunft oder ihren Lebenswegen irgendeine Schnittmenge, der aus großbürgerlicher Kaufmannsfamilie stammende Kaffeemagnat und der immer wieder von Krisen und künstlerischen Schwankungen heimgesuchte Hoetger. Letztere aber konnten sein hohes Maß an Selbstwertgefühl, an künstlerischem Missionsgeist kaum beeinträchtigen, und so fand er Akzeptanz und schließlich Freundschaft und grenzenlose Zustimmung bei Ludwig Roselius, dem wichtigsten Mäzen und Förderer seiner Karriere. Und dass das Band zwischen beiden persönlich und ideologisch so eng geflochten war, das wiederum hatte ganz wesentlich mit Paula Modersohn-Becker zu tun: Hoetger war zu ihren Lebzeiten ein wichtiger Freund und Förderer, und Roselius wurde nach ihrem Tod zum ersten und bedeutendsten Sammler ihrer Arbeiten. Das gewagteste und vielleicht nachhaltigste Werk ihres Gemeinschaftsgeistes wurde 1927 das Paula Becker-Modersohn- Haus, erschaffen in Verehrung und Überzeugung von der Außergewöhnlichkeit dieser künstlerischen Leistung. „Paula“, so Roselius bei Einweihung des Hauses, „ist ein Künstler von höchster zeugender Kraft, ebenbürtig dem Besten, den die Welt geboren hat.“

Abb. 1
Bernhard Hoetger um 1914
Quelle
Nachlass Teichmann (Foto)

Bernhard Hoetger stammte aus Hörde in Westfalen, hatte nach seiner Ausbildung zum Holz- und Steinbildhauer in Detmold eine Zeit als Wandergeselle verbracht, anschließend in der Werkstatt für kirchliche Kunst seines Vaters gearbeitet und eine eigene Steinkunstwerkstatt gegründet, um 1897 – mit 23 Jahren – Aufnahme an die Düsseldorfer Akademie zu finden. Er übersprang die Grundklassen für Bildhauerei, studierte auch Architektur und ließ sich bei dem berühmten Carl Janssen nach nur vier Semestern als Meisterschüler examinieren. Eine Studienfahrt zur Weltausstellung nach Paris 1900 veränderte sein Leben: er kehrte nicht mit den Kommilitonen zurück, fand am Montparnasse die Gunst einer Gönnerin und schuf als freier Bildhauer am Montmartre sein frühes plastisches Werk, hinter dem gelegentlich der große Auguste Rodin als Vorbild erscheint, den er gelegentlich als „maitre“ titulierte. Auf dem Pariser Salon stellte Hoetger aus, hatte beachtliche Erfolge und kam in Kontakt zu den französischen Künstlerkollegen wie Theophile Steinlen oder Henri Rousseau. 1906 fand in Paris die Begegnung mit Paula Modersohn-Becker statt, in ihrem Atelier erlebte er „still und ergriffen ein Wunder“.Bernhard Hoetger, 1919

1906 kehrte der Bildhauer nach Deutschland zurück, fand wiederum in die Gunst von großen Mäzenen wie August von der Heydt in Elberfeld oder Großherzog Ludwig von Hessen in Darmstadt, in deren Auftrag er zum Teil monumentale Plastiken für den öffentlichen Raum schuf, an denen der Einfluss Rodins überwunden ist. Hoetgers verwegene Odyssee führte schließlich nach Worpswede, wo er, inspiriert durch das Werk Paula Modersohn-Beckers, die „rechte Atmosphäre“ auch für die eigene Arbeit fand. In Nähe ihres Ateliers erwarb er ein Bauernhaus und baute es zu einer mondänen Villa aus, worin erstmals seine Idee einer neuartigen Verschmelzung von Bildhauerei und Architektur sichtbar wurde. Hier fand im August 1918 eine erste Begegnung mit Ludwig Roselius statt, der für das umstrittene Kriegerdenkmal „Niedersachstein“ auf dem Weyerberg 30.000 Reichsmark zur Verfügung stellte und bald in Hoetger den Künstler erkannte, der seine Suche nach einem rein „nordischen“ Schöpfungsmythos teilen konnte. „Hoetger“, so Roselius, „greift in nordische Urtiefen.“Ludwig Roselius an Ernst Müller-Scheessel, 8. Mai 1921. Archiv Böttcherstraße (Inv.-Nr. 1_2_07, 1921_05_08)

Im Stil eines 1923 in Bad Harzburg errichteten „Cafe Winuwuk“, einem expressionistisch anmutenden Zweckbau zum Vertrieb von Kunsthandwerk, errichtete Hoetger 1925 das „Kaffee Worpswede“ und eine nachträglich angegliederte „Kunstschau“, für die sich Roselius als Mäzen begeistern konnte und wirtschaftlich engagierte, um bald darauf den Bildhauer als führenden Architekten an das Projekt Böttcherstraße zu binden. Nach dem gelungenen Auftakt mit dem Paula Becker -Modersohn-Haus, das als Bauwerk noch viel skulpturaler und kunstfertiger als die Worpsweder Bauten erschien, brach Hoeger seine Zelte am Weyerberg ab und zog in die Böttcherstraße. Auch seine 1923 gegründeten „Kunsthütten“ als Vereinigung unabhängiger Kunsthandwerker, die am Verkauf ihrer Produkte beteiligt wurden, hatte er auf Bremen übertragen und im Erdgeschoss des Paula Becker-Modersohn-Hauses den Werkstatthof „Zu den sieben Faulen“ eingerichtet. Seine Worpsweder Erfahrungen als Architekt und Vertriebsleiter für künstlerisches Handwerk traten in Bremen auf eine neue Stufe, weil das Großunternehmen Kaffee-HAG wirtschaftliche Risiken absicherte und neue Vertriebsmöglichkeiten eröffnete, so dass für Hoetger selbst kaum noch ein wirtschaftliches Wagnis bestand. Das Ausmaß des Projekts Böttcherstraße und der Vorrang der Architektur beeinflussten in den 20er Jahren seine Bildhauerei: diese fand zu einer reiferen Klarheit, aber mit gemindertem Stellenwert im Werk insgesamt. Skulpturen wurden repräsentative und dienende Teile an einem architektonischen Gesamtkunstwerk.

Unter Einfluss von Ludwig Roselius begann Hoetger sein künstlerisches Weltbild nationalistisch einzufärben, Mythen aus grauer Vorzeit zu reanimieren, welche die expressionistische Phase seines Wirkens dann allmählich zu Ende brachten. Die für die Fassade des Bremer Volkshauses 1928 geschaffenen Figuren zeigen in expressionistischer Manier eine ungeschönte, degenerierte menschliche Figur, symbolhaft und düster. Hoetgers Gesamtwerk neigte immer dem Überzeitlichen zu, durch Stützung und Einfluss von Ludwig Roselius ging es ganz in dem mythischen Gebaren auf, das ihn der Kunst der eigenen Zeit schließlich entfremdete.

Abb. 2
Bernhard Hoetger und Ludwig Roselius im Himmelssaal des Haus Atlantis um 1932

Mit dem Haus Atlantis (Abb. 2) wurde 1931 der großartige Schlussstein seiner Arbeit als Architekt in die Böttcherstraße gesetzt, vielleicht auch bereits als Bildhauer. Hoetger begab sich von Bremen aus auf eine ziellose Reise, die ihn zunächst über Frankreich und Portugal nach Italien führte. Er war 60 Jahre alt und in Rom, als die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht ergriffen, die eine Zeitlang seiner Arbeit huldigten, da man sie als Erfüllungen von „Blut und Boden“ und Ausdruck einer rein „nordischen“ Kunstauffassung empfand. Doch der Zuspruch verkehrte sich bald ins Gegenteil, durch die öffentliche, vor allem die nationalsozialistische Polemik gegen die Böttcherstraße. Bereits 1932 hatte Rudolf Alexander Schröder das Haus Atlantis mit seinem vorgesetzten Lebensbaum als „Warenhaus-Embryo mit einem an Holz erhöhten Popanz“Weser-Zeitung, 9. Mai 1931 bezeichnet. 1936 nannte „Das Schwarze Korps“ Hoetgers Bauten pauschal „Affenkästen“, im Verbund mit den Werken Paula Modersohn-Beckers „bedauerliche Zeugnisse eines krankhaften Geistes und Schandwerke“.Aufruf der Kreisleitung der NSDAP Bremen, 9. Juni 1936. Staatsarchiv Bremen. Anlässlich seiner Rede auf dem Nürnberger Reichsparteitag 1936 nahm Adolf Hitler die Böttcherstraße als steingewordenen Bolschewismus der Weimarer Zeit direkt ins Visier: „Diese Art von Böttcherstraßen-Kultur lehnt der Nationalsozialismus schärfstens ab.“

Bernhard Hoetger indessen scheute sich nicht, sich wiederholt und vor allem mit Unterstützung von Ludwig Roselius den Nationalsozialisten als Architekt anzubieten. Für das Nürnberger Reichsparteitagsgelände entwarf er 1933 ein „Deutsches Forum“, eine überdimensionierte Versammlungshalle in Hakenkreuzform, die jedoch bei den Nazis keinerlei Zustimmung fand, auch wenn der Bildhauer dafür bereits Großplastiken wie „Sterbende Krieger“ zu schaffen begonnen hatte.

Bis 1943 lebte Hoetger in Berlin-Frohnau (Abb. 3), in dem letzten von ihm entworfenen Gebäude, bis es durch Bomben der Alliierten zerstört wurde. Über das Riesengebirge und Oberbayern floh der Bildhauer mit seiner Frau in die Schweiz, wo in Interlaken am Thuner See am 18. Juli 1949 sein hoch produktives Leben zu Ende ging, dessen größte Leistungen als Bildhauer wie als Architekt die Bremer Böttcherstraße vereint.

Abb. 3
Bernhard Hoetger um 1940

Was Bernhard Hoetger im Jahr 1923 einmal an Roselius geschrieben hatte, das könnte wie ein Motto über seinem ganzen Leben stehen: „Nie habe ich zertrümmern wollen, nie habe ich Neues schaffen wollen, nie habe ich einen Stil gewollt – ich habe meiner Weltanschauung den Weg zur Formwerdung bereitet und habe mich bereitet zur Intuition, die ich ekstatisch liebe.“

Die Leistungskurve seines Werkes zeigt keinerlei Geradlinigkeit, sondern erreicht exorbitante Höhen und steht im nächsten Augenblick unmittelbar vor dem Scheitern. Nach einem Auftakt in genialischer Unbekümmertheit, dessen Ergebnisse sich den bedeutendsten Leistungen der eigenen Zeit selbstbewusst zur Seite stellen konnten, hatte der bald schon renommiert gewordene Bildhauer Mühe, den Verheißungen und den Selbstanforderungen gerecht zu werden. Aus dem Aufstieg eines vielseitig Begabten wurde dann der einzigartige Weg eines, der sich fortlaufend fremder Ideen und Stile bediente, um Eigenes daraus zu formen. 

Es gibt bei Hoetger ein großes Einfühlungsvermögen in fremde Kulturräume und eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit. Er konnte heute mit Leidenschaft etwas vertreten, an das er sich morgen kaum noch zu erinnern schien. So war es auch mit den bildhauerischen oder architektonischen Stilen, die er ergriff, benutzte und wieder fallen ließ. Unter den deutschen Bildhauern des 20. Jahrhunderts gilt er als ein großer Eklektizist, dem es dennoch gelang, unter Mitwirkung und Beteiligung seines Mäzens Ludwig Roselius zu einer originären Symbiose von Architektur und Bildhauerei zu finden.

So hatte es Roselius bereit 1924 an den Bildhauer vorausschauend geschrieben: „Es ist richtig, dass ich nichts könnte ohne Hoetger; es ist aber ebenso richtig, daß das Hoetgersche Werk durch meine Tätigkeit in seiner Wirkung verhundertfacht werden kann.“ Und abschließend: „Davon aber nimm bitte heute schon Kenntnis, daß niemand anderes als Bernhard Hoetger diesen Teil der Böttcherstraße bauen wird.“Ludwig Roselius an Bernhard Hoetger, 19. März 1924. Archiv Böttcherstraße Bremen.

Literatur

  • Georg Biermann, Bernhard Hoetger. Der Künstler und sein Werk, München 1913
  • Sophie Dorothee Gallwitz, 30 Jahr Worpswede, Bremen 1922
  • Ludwig Roselius d. J. (Hrsg.) Bernhard Hoetger 1874-1949. Sein Leben und Schaffen (mit Werkverzeichnis), Bremen 1974
  • Dieter Golücke, Bernhard Hoetger. Bildhauer, Maler, Baukünstler, Designer. Hrsg. Museum am Ostwall, Dortmund. Lilienthal 1984
  • Bernhard Hoetger – Sein Werk in der Böttcherstraße Bremen, Hrsg. Senator für Kultur und Ausländerintegration Bremen, Lilienthal 1994
  • Bernd Küster, Ludwig Roselius und die Worpsweder Kunst. In: Worpswede 1889-1989, Hrsg. Landkreis Osterholz, Lilienthal 1989, S. 120 ff.
  • Marie Anczykowski (Hrsg.). Bernhard Hoetger, Skulptur, Malerei, Design, Architektur. Bremen 1998

Text

Bernd Küster